Idylle und Provokation



Herzlich Willkommen zur Ausstellung im Kunstverein Weiden.

Vernissage ist am Freitag, 15. April 2016  ab 20 h







15. 04. – 22.05. 2016
IDYLLE UND PROVOKATION


Stewens Ragone & Annette Reichardt
(Wesseling), Holger Lehfeld (Nürnberg)

Annette Reichardt

Geb. 1962 Peine,
1985 – 90 Auslandsaufenthalte Hongkong,
Peru Neuseeland
1987 – 95 HbK Braunschweig, bei Johannes
Brus, HP Zimmer und Thomas Virnich

Stewens Ragone

Geb. 19960 Ilsede/ Niedersachsen
1983 - 89 HbK Braunschweig HP Zimmer


Holger Lehfeld

Geb. 1968 in Erlangen geboren
1997 – 2004 Akademie
der Bildenden Künste Nürnberg und ASP
Krakau 2006 Debutantenpreis des BBKNürnberg,


Die Ausstellung Idylle und Provokation ist ein
bildnerisches Trio über das Thema „Sehnsuchts-
Welten“, die in den Gemeinschafts - Arbeiten der
Kölner Annette Reichardt und Stewens Ragone
und in den Arbeiten des Nürnberger Solisten
Holger Lehfeld nicht nur allgemein als Human-
Topos angesprochen werden, sondern auch
spezifisch soziologisch verortet sind.
Es geht um die Short People, über die bzw über
das Zerrbild, das sich die anderen von ihnen
machen, Randy Newman in seinem Album „Little
Criminals“ 1977 auch heute noch eindrucksvoll
sarkastisch sinniert, gemeint sind die
sogenannten kleinen Leute in ihren
Einfamilienhäusern, Neubausiedlungen und
Mietskasernen. Solche Leute könnten keine
Lebensberechtigung haben, heißt es in dem Song
von 1977 provozierend. Aber hallo!
Plateau-Sohle und Eigenheim zeigen sich als
Metaphern des Ankommens und der Sehnsucht
nach Größe, die quer durch alle
Gesellschaftsschichten und Kulturen die
Menschen vereint.
Künstlerin und Künstler, alle drei Jahrgänge der
1960er Dekade, lassen somit in ihren Visionen
Statusgefälle, Hackordnung und
Klassenschranken außen vor und geben dem
Elan Vital, der keinen Unterschied macht, in
seiner Polarität zwischen melancholischer
Introversion und extravertiertem Lust-Prinzip freie
Zügel.
Das in Köln lebende Paar Annette Reichardt und
Stewens Ragone macht im Leben und in der
Malerei fifty-fifty, wie sie es in Bezug auf einen
Frank Zappa Song nennen. Seit 13 Jahren
entstehen ihre Arbeiten als Gemeinschafts-Werk,
worin sie vielleicht auch ein Stückweit den
kollektivistischen Gruppe-Spur-Geist ihres
gemeinsamen Lehrers an der HbK Braunschweig
HP Zimmer fortleben lassen.
Formal erlebt der Betrachter eine eigenwillige
Mischung aus einer realistisch karikierenden
Figuration, in der die burleske Verschmelzungen
von Tier-, Menschen- und
Gebrauchsgegenständen an der Tagesordnung
sind, mit dem klassischen Aktion-Painting in den
Gemälde-Hintergründen, das sich im
vielschichtigen Bild-Zusammenhang als
landschaftliche Kulisse und musikalische Notation
wahrnehmen lässt. Man kann Marsch-Musik,
Swing und die Kakaphonien der Neuen Musik
gleichermaßen heraushören.
Vor diesem inhaltlich offenen, atmosphärisch
spannungsvollen Background geben die im
prallen Pathos der heute historischen Kino-
Plakat-Malerei gemalten Szenerien meist Einzel-
Personen oder kleineren und größeren Gruppen
eine Bühne. Im zackig exaltierten Gestus des
Vaudeville-Theaters scheint hier ein Nummer-
Programm durchgeführt zu werden, in dem vor
allem der soziale Status-Drang und Adlers
Napoleon-Syndrom zu ihrem Recht kommt. Pose
im fruchtbaren Augenblick. We are the
Champions.
Der Alltag wird als dramatischer Non-Stop-
Sieges-Zug zum Gipfel der guten Laune
vermittelt, aus der Ferne grüßt vielleicht das HBMännchen.
Es gibt eine Unzahl vorläufig bewältigter Krisen-
Stationen mit Auto, Trockenhaube, Pistole
Dreirad, Kochlöffel, die nun, wenn nicht einen
strahlenden Sieger, so doch im gegebenen
Rahmen eine große Rolle hervorbringen.
Jedes Bild spiegelt das kurze Verharren am Point
of no Return, das neu-anfängliche Auf-dem-
Sprung-Sein im Schnappschuss.
Holger Lehfelds Szenerien spielen dagegen
nicht auf einer surrealen Bühne, die alle Welt
bedeutet, sondern unmittelbar in der
gesellschaftlichen Wirklichkeit und sind inhaltlich
klar definiert, sein Werk behandelt vielfach die
gebaute Lebenswelt, die topographische
Ordnung, in der sich der Alltag abspielt: der
Betrachter findet Bilder, in denen die Architektur-
Kulissen von Wohnen, Arbeit, Verkehr im
urbanen Raum im Zentrum stehen .
Lehfeld allerdings liebt die blaue Stunde, den
Augenblick der Absence, den Geschmack der
verlorenen Zeit, der die Wirklichkeit von den
funktionellen Zusammenhängen des Massen-
Betriebs befreit und in das Reich magisch
symbolischer Kräfte entführt. Ihr Medium ist die
Farbe.
Formal knüpft der Coldiz- und Angermann-
Schüler immer wieder spürbar an die expressive
Farbigkeit aus der Zeit des Blauen Reiters an, die
vor einem Jahrhundert für ein naturaffines
Aufbegehren gegen den Technik-Glauben der
Moderne gestanden hat, während der
thematische Kontext, in dem sie Holger Lehfeld
heute verwendet, wohl eher Konformität und
biedermeierlichen Rückzug verkörpert
Die verschiedenen Bereiche der Stadt-
Landschaft, die der Betrachter mit dem Künstler
vom Einfamilienhaus im Vorort bis zum Stadion
im Stadtzentrum durchquert, sind zu jeder
Tageszeit fast menschenleer, alles scheint sich
symbolisch hinter den Mauern abzuspielen und
dem lyrischen Ich die Vorfahrt zu lassen.
Der Betrachter sieht erleuchtete Fenster, folgt
Wegen, die durch das Neubauviertel und die
abendlichen Parks führen, und stößt auf Straßen,
die an Mietskasernen vorbei auf Brücken nach
Nirgendwo lenken.
All diese Orte, die als Orte zwischenmenschlicher
Kommunikation angelegt sind sind, glühen in den
leicht identifizierbaren flächig aufgetragenen
Sehnsuchts-Farben des Expressionismus, der
dem europäischen Kultur-Kreis nicht nur einen
Stil sondern auch eine symbolische Form des
Aufbegehrens geschenkt hat.
Das Große Gefühl, das damit historisch
verbunden ist, wird in Lehfelds Bildern auf die
Zeitlosigkeit einer Heilen Welt herab gedimmt, die
durch die Abstandsregeln der Bauordnung
geprägt ist, melancholische Schauplätze der
Selbstfindung bekommen hier Licht.
Nähe-Signale sind das, in denen sich die Poesie
eine eigene Ordnung gibt. Wie es der Mythos will,
wird ihre Botschaft nur von wenigen beachtet,
anstatt, dass uns die blaue Blume der Romantik
leuchtet, laufen im Fernsehen Tagesschau und
Tatort.

Wolfgang Herzer








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